Ländlich-konservativ kontra urban-liberal? Das ist Unsinn! (2024)

Österreich ist gespalten in einen konservativ-freiheitsliebenden und in einen sozialistisch-paternalistischen Teil.

Bei der Nationalratswahl hat sich wie schon zuvor bei der Bundespräsidentenwahl eine gewisse Kluft zwischen der Wählerschaft in der Stadt und auf dem Land gezeigt. Die Wähler am Land haben deutlich konservativer gewählt als die Wähler in größeren Städten. Es war bereits von einer Spaltung Österreichs in zwei Teile die Rede: in einen konservativen ländlichen, kleinstädtischen und in einen liberalen urbanen Teil.

Das ist zumindest für die Nationalratswahl ein ziemlicher Unsinn. Denn ein nicht unbeträchtlicher Teil des konservativen Spektrums hat auch eine starke liberale (vor allem wirtschaftsliberale) Schlagseite. Viele konservative Wähler wollen nicht ständig vom Staat bevormundet werden, streben nach individueller Freiheit und wollen, dass eigene Leistung auch entsprechend honoriert wird. Es ist ein großer Irrtum zu glauben, diese Mentalität sei auf die großen Städte beschränkt.

Sie findet sich genauso am Land, wo die Menschen daran gewöhnt sind, sich alles im Leben selbst hart zu erarbeiten. Egal, ob es sich um Landwirte, kleine Gewerbetreibende oder Pendler in die Städte handelt: Am Land muss man für sein hart erarbeitetes Geld früher aufstehen.

Starkes Gemeinschaftsgefühl

Was am Land sicher eine größere Rolle spielt als in den großen Städten, ist das Gemeinschaftsgefühl. Durch die Kleinheit der Strukturen müssen sich die Menschen am Land stärker gemeinsam organisieren. Man kennt sich, man hilft sich, und der Staat soll einem nicht durch ständig neue Vorschriften und Bürokratien auf die Nerven gehen.

Durch diesen ländlichen Zusammenhalt ergeben sich starke Bindungen innerhalb der Bevölkerung, was es Fremden nicht leicht macht, sofort in einer solchen Gemeinschaft Fuß zu fassen. Daraus aber jetzt automatisch eine generelle Xenophobie der Landbevölkerung abzuleiten, wäre falsch. Oft sind Zuwanderer nach einer gewissen Zeit am Land sogar besser integriert als in der Stadt, da ein Sich-Abschotten in kleinen Gemeinden viel schwieriger ist als beispielsweise in Wien, wo die verschiedenen Ethnien mehr nebeneinander als wirklich miteinander leben.

Kritik ist kein Wien-Bashing

Es gibt in Österreich also keine Spaltung in ländlich-konservativ und urban-liberal, sondern eine Spaltung in einen konservativ-freiheitsliebenden Teil und einen sozialistisch-paternalistischen Teil. Der sozialistisch-paternalistische Teil verliert aber zunehmend an Terrain.

Die Grünen sind ja auch wegen dieser Liebe zu ständig neuen Vorschriften und dem erhobenen Zeigefinger gerade hochkant aus dem Parlament geflogen. Die Stimmen der ehemaligen Grün-Wähler sind aber bei der SPÖ gut aufgehoben, denn auch die Sozialdemokraten meinen ja, ständig besser zu wissen, was gut für die Menschen ist.

Der konservativ-freiheitsliebende Teil bekommt inzwischen auch in Wien immer mehr Oberwasser. Bei der Nationalratswahl im Oktober kam Rot-Grün in Wien in Summe nur mehr auf 40 Prozent der Stimmen. FPÖ, ÖVP und Neos bilden zusammen bereits die Mehrheit. Die konservativ-liberale Eroberung von Wien bei der nächsten Wien-Wahl voraussichtlich im Jahr 2020 ist in Reichweite.

Kritische Ansagen gegen Wien sind kein Wien-Bashing, sondern dringend notwendig. Um in der Metropole Wien gehört zu werden, müsste vor allem auch die ÖVP klare und kantige Botschaften kommunizieren. Dabei darf und sollte sie auch fokussiert klassische konservative Themen aufgreifen – wie Sicherheit, Sparsamkeit im Umgang mit Steuermitteln, Subsidiarität, Eigenverantwortung, Freiheit, Privateigentum und christliche Kultur.

Dies schlägt sich in keiner Weise mit dem Ansinnen, als eine moderne, weltoffene Partei wahrgenommen werden zu wollen. Denn auch die urbansten Hipster wollen nicht spätabends beim Spaziergang im Park von Gangs überfallen werden.

Eine konservativ-liberale Politik darf aber nicht beim Wirtschaftsliberalismus stehen bleiben, um in den Großstädten zu reüssieren.

Alternative Lebensweisen

Der letzte aus einer Volkswahl hervorgegangene christdemokratische Bürgermeister einer Millionenstadt im deutschsprachigen Raum war Ole von Beust. Der Hamburger Christdemokrat, gleichzeitig bekennender hom*osexueller, weltoffen, aber mit der Heimat im Herzen, nordisch nobel, liberal, gleichzeitig auch konservativ, regierte Hamburg als Oberbürgermeister fast ein Jahrzehnt lang von 2001 bis 2010.

Die derzeit größte, von einem Christdemokraten regierte Stadt im deutschen Sprachraum ist die Stadt Essen im Ruhrgebiet. Der Bürgermeister von Essen, Thomas Kufen, hat im Jahr 2015 seinen Lebenspartner geheiratet, ist also auch bekennender hom*osexueller. Jetzt kann man natürlich daraus nicht ableiten, dass ein Christdemokrat automatisch höhere Chancen auf ein Bürgermeisteramt in einer Großstadt hat, wenn er schwul ist. Aber was auf jeden Fall hilft, ist eine konservativ-liberale Politik, die die Pluralität der Gesellschaft respektiert und repräsentiert.

Dazu gehören eben auch der Abbau von Diskriminierungen und die Akzeptanz von alternativen Lebensweisen – speziell in der Großstadt, wo es einfach mehr Minderheiten und mehr alternative Lebensentwürfe gibt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Daniel Piller

(geboren 1979 in Bruck an der Mur) ist Wirtschaftspädagoge an einer HLW in Wien. Er ist Vorsitzender der Fachgruppe BMHS (berufsbildende mittlere und höhere Schulen) im Wiener ÖAAB und Mitglied im Fachausschuss BMHS im Stadtschulrat für Wien. Der Autor betreibt einen Blog für modernen, weltoffenen Konservatismus. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2017)

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